Self-Governance in Antiquity. Local Groups, the City and the State

Self-Governance in Antiquity. Local Groups, the City and the State

Organisatoren
DFG-Forschungsgruppe 2757 „Lokale Selbstregelungen im Kontext schwacher Staatlichkeit in Antike und Moderne“ (LoSAM)
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2021 - 31.03.2021
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Von
Fabian Knopf, Institut für Geschichtswissenschaft, Technische Universität Braunschweig

Die Beschäftigung mit der Nichtelite und der soziopolitischen Peripherie hat in den letzten Jahren einen Aufschwung erfahren. Als ein Beispiel hierfür darf auch das Interesse an lokalen Formen der Selbstverwaltung im Rahmen der Forschungen zu antiken Gemeinwesen gelten. Ein zentrales Cluster bei der Untersuchung lokaler „self-governance“ und deren Verhältnis zum übergeordneten „Staat“ bildet die DFG-Forschungsgruppe 2757 „Lokale Selbstregelungen im Kontext schwacher Staatlichkeit in Antike und Moderne“ (LoSAM) in Würzburg. Das antike Teilprojekt D unter der Leitung von Rene Pfeilschifter hat diesem Themenkomplex ein internationales Kolloquium gewidmet, das pandemiebedingt in digitaler Form abgehalten werden musste, was indes für den inhaltlichen Austausch und Wissenszugewinn kein unüberwindbares Hindernis darstellte. Der Schwerpunkt lag auf der Spätantike, obschon auch Beiträge aus klassischer, hellenistischer, republikanisch-römischer und byzantinischer Zeit Eingang in das Programm fanden.

Den Tagungsauftakt machte HANS BECK (Münster), der über den Einfluss des griechischen Verständnisses von nomos auf die lokale Selbstwahrnehmung und -regulierung (besonders anhand des Beispiels Theben) referierte. Becks Vortrag provozierte eine anregende Diskussion über die lokalen Normgegebenheiten und deren Verhältnis zur panhellenischen Leserschaft der Autoren, die über lokale Idiosynkrasien berichteten. Dabei unterstrich Beck, dass das Lokale sich immer in einem Diskurs mit anderen lokalen Ordnungen befinde, also niemals isoliert zu betrachten sei, und zugleich in einem Verhältnis zu einer „idea of Greekness“ stehe.

EDWARD WATTS (San Diego) sprang anschließend in die Regierungszeit des Gallienus und untersuchte lokale Selbstertüchtigungen im Rahmen militärischer Konflikte. Dies geschah beispielsweise im Kontext der Aufstellung lokal-griechischer Kontingente zur Verteidigung gegen die Heruler oder auch bei Odainathos’ Abwehr der Sassaniden (ferner auch im Kontext des Augsburger Siegesaltars). Für beide Fälle konnte Watts darlegen, dass diese lokalen Organisationsversuche zur Selbstverteidigung in keinem Spannungsverhältnis zur römischen Zentralmacht standen, da beispielsweise Dexippos (Akteur und Berichterstatter im Kontext des Herulereinfalls) zu verstehen gibt, dass solche lokalen Initiativen unter die Führung eines römischen Kommandanten zu stellen seien, was 267 auch tatsächlich geschah. Für Odainathos zeigte Watts, dass dieser sich trotz seiner Erfolge in den Dienst Gallienus’ stellte und dafür unter anderem mit dem Titel dux orientis geehrt wurde – beide sich also letztlich gegenseitig ihres Status innerhalb der damals geltenden soziopolitischen Hierarchie versicherten und diesen anerkannten. Watts‘ Präsentation vermochte jedenfalls eindrücklich darzulegen, wie segensreich und willkommen lokale Initiativen für eine gebeutelte Zentralmacht sein konnten, vorausgesetzt, dass diese sich der Autorität des Kaisers und seiner Beamten unterordneten.

ADRIAN ERBEN (Würzburg) sprach über christliche Armenfürsorge und Getreideverteilungen in Antiocheia ad Orontem. Die christliche Versorgung von Armen, Waisen und Witwen weitete sich ab dem 3. nachchristlichen Jahrhundert zunehmend aus, wodurch die Christengemeinde in die Rolle einer – anachronistisch formuliert – NGO rückte. Der Kaiser unterstützte diese Regelung durch Subsidien, was wohl grundsätzlich mit der damals apolitischen Intention seitens der Kirche und dem Bestreben, Verantwortung an eine dritte Partei abzugeben, zu erklären ist. Unklar (auch aufgrund der Quellenlage) blieb, wie weit die kirchliche Versorgung wirklich reichte und wer als „arm“ definiert wurde und davon profitierte. Nichtsdestoweniger zeigte Erben in den Augen des Berichtschreibers, wie einzelne lokale Gemeinden als quasistaatliche Akteure mehr und mehr eine der zentralen Aufgaben der kaiserlichen Fürsorge übernahmen und darin sogar vom Kaiser bestärkt wurden.
Drei der vier folgenden Beiträge untersuchten das Verhältnis von zivilgesellschaftlichen Akteuren zur jeweiligen Zentralmacht. Einen besonders ausgreifenden wie spannenden Versuch stellte ANDREW MONSONs (New York) Präsentation dar, die sich mit den Grenzen monarchischer Willkür und der Selbstverwaltung im hellenistischen Osten auseinandersetzte. Monson argumentierte für die Anwendbarkeit des Begriffs „civil society“, die er jenseits der bürokratischen oder infrastrukturellen Macht der Monarchen verortet. Im Kern stehen wieder lokale Akteure, die zum Wohle und gegenseitigen Nutzen mit dem König kooperierten. Was möglicherweise nicht jeden überzeugen wird, ist Monsons Adaption des Begriffs „civil society“, die für ihn „within the state“ existiert. Er setzt also voraus, dass hellenistische Monarchien als Staat verstanden werden können, was für ihn nolens volens eine Grundvoraussetzung darstellt, wenn der Begriff der Zivilgesellschaft nicht ins Leere gehen soll. Sehr schön verdichtend und zugleich diskussionsanregend war seine Schlussfolgerung, dass der ptolemaiische „Staat“ aufgrund seiner „starken Staatlichkeit“ despotisch war, wohingegen der seleukidische Despotismus dem Umstand zu verdanken sei, dass es keine Zivilgesellschaft (Monson sieht eher viele verschiedene „Gesellschaften“ am Werke) gegeben habe.

RENE PFEILSCHIFTER (Würzburg) erarbeitete im Rahmen seiner Untersuchung zu den Zirkusparteien ein noch stärker vom modernen Begriff entlehntes Verständnis von „Zivilgesellschaft“. Für Pfeilschifter waren die Zirkusparteien zivilgesellschaftliche Akteure, auf die der Kaiser gelegentlich zurückgriff, wenn es um die Erledigung gemeinwohlfördernder Aufgaben ging. So wurden die eigentlich konkurrierenden Zirkusparteien mal zur Verteidigung der Stadtmauern einberufen, mal engagierten sie sich einträchtig bei der Bestattung von Pandemieopfern. In beiden Fällen zeigten die Parteien jedenfalls ein hohes zivilgesellschaftliches Engagement. In diesem Zusammenhang sieht Pfeilschifter auch die Berichte über Gewaltexzesse der Zirkusparteien als von unseren Quellen überbetontes Phänomen an. Das könne man schon daran ablesen, dass lediglich 18 Fälle über 75 Jahre, verteilt auf zwei Städte, überliefert sind. Die Zirkusparteien waren letztlich vom „Staat“ unabhängige Akteure, die durch ihr zivilgesellschaftliches und zumindest partiell gemeinwohlorientiertes Engagement hervorstachen.

DOROTHEA ROHDE (Bielefeld) untersuchte mit der societas der Salzhändler im kaiserzeitlichen Ägypten (nach A. Monson eher eine „Egyptian association“) eine Organisation, die dezidiert keine zivilgesellschaftliche Funktion innehatte, sondern als nichtstaatlicher Akteur das staatliche Salzmonopol realisierte. Auf diese Weise sparte sich die römische Zentralmacht die Kosten, die eine Extrahierung von Gewinnen aus dem Monopol durch einen eigenen Verwaltungsapparat mit sich gebracht hätte. Und den lokalen Salzhändlern bot sich wiederum eine erstklassige Möglichkeit, private Profite zu erwirtschaften. Alles in allem stellte die Verpachtung des Salzmonopols eine Win-win-Situation dar.

Unabhängig von zivilgesellschaftlichen Fragestellungen untersuchte VOLKER MENZE (Wien) ausgehend von der kaiserlichen Einflussnahme des Justinian auf die Anzahl an Klerikern im Domkapitel von Konstantinopel bisher weitgehend unerforschte Dynamiken in der internen Selbstverwaltung von Bistümern. Er konzentrierte sich auf den Kathedralklerus, genauer auf die Positionen des Erzdiakons sowie des Oikonomos. Während Diakone mit der Position des Erzdiakons das wohl wichtigste Amt im Kathedralklerus bekleideten, stammten die Oikonomoi wohl häufig aus den Reihen der Priester. Beide Positionen konnten nach Menze gegebenenfalls eine gewisse Unabhängigkeit vom Bischof entwickeln und auf diese Weise zu einer „good governance“ beitragen. Insofern könne die Position des Erzdiakons mit der eines „chief operating officers“ und die des Oikonomos mit der eines „chief financial officers“ verglichen werden. Auch wenn eine direkte Konkurrenz zwischen Priestern und Diakonen innerhalb des Kathedralklerus schwer direkt nachzuweisen sei, erhofften sich nach Menze viele, aufzusteigen. In der Tat rekrutierten sich Bischöfe häufig aus dem lokalen Kathedralklerus. Externe Einflüsse durch Kaiser oder Konzilien seien insbesondere bei Metropolitanbistümern ein weiterer Faktor, der für kleinere Bistümer jedoch schwer nachzuverfolgen sei.

JULIA SCHWARZER (Würzburg) beschäftigte sich mit den Parabalani als Laien bzw. Teil des „niederen Klerus“ innerhalb der Kirche. Sie sieht eine Klerikalisierung der von Laien ausgeübten Positionen bei gleichzeitiger Sakerdotalisierung des „höheren Klerus“. Laien wie die Parabalani wurden nach Schwarzer in den kirchlichen Apparat inkludiert, der Klerikerstatus also ausgeweitet, und zugleich der Zugang zur Heiligkeit und zum Heiligen innerhalb der kirchlichen Hierarchie verengt – mit nachhaltigen Auswirkungen auf die kirchliche Verwaltungsstruktur.

MARIAN HELM (Münster) untersuchte sodann die lokale Dimension der Organisation eroberter Gebiete in der frühen Republik. Er unterstrich, dass der römische „Staat“ nur wenige administrative Aufgaben wie Besteuerung und Truppenaushebungen selbst durchführte. Die Römer kamen in den eroberten Gebieten auch ohne größere römische Bürgergemeinden aus und organisierten ihre Verbindungen in diese Gebiete stattdessen über fora et conciliabula civium Romanorum. Insgesamt zeigten die Römer bei der herrschaftlichen Durchdringung dieser Gebiete kein erhöhtes Interesse an einem starken „Staat“, was mit der starken Position des pater familias und der zentralen Rolle der familia innerhalb der römischen Gesellschaft zu erklären sei.

Den Tagungsabschluss bildete der Vortrag von WOLFRAM BRANDES (Frankfurt am Main) zur familiären Selbstregulierung innerhalb der byzantinischen Finanzverwaltung und Rechtsprechung vom 8. bis 11. Jahrhundert. Unter anderem mit einem Verweis auf erhaltene Siegel konnte Brandes eine Spezialisierung einzelner Familien auf bestimmte Verwaltungsgebiete plausibel machen. Der byzantinische „Staat“ schien die Akkumulation von Spezialwissen in der Hand einzelner Familien akzeptiert zu haben, was zwar bei der Verwaltung nützlich war, aber auch potentiell gefährliche Abhängigkeiten von einzelnen Familien produzierte.

Die Tagung hat anhand mehrerer Themenfelder eindrücklich verdeutlichen können, dass lokale bzw. zivile Initiativen oder Akteure eine zentrale Rolle bei der Verwaltung des „Zentralstaates“ spielen konnten, ohne zur Gefahr für die Zentralmacht zu werden. Oftmals unterstützten die Kaiser gar diese lokalen Gruppen oder Akteure in deren Tun, so dass diese zu Quasi-Vertretern des „Staates“ heranwuchsen. Das Verhältnis von lokalen Akteuren und staatlichen Institutionen darf also durchaus als symbiotisch bezeichnet werden. Was indes weniger deutlich hervortrat, ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen lokaler Selbstverwaltung bzw. lokalen Gruppen und schwacher Staatlichkeit. Ist in diesem Sinne ein stärkeres Hervortreten der lokalen Ebene gleichzusetzen mit schwacher Staatlichkeit? Bei einigen Beiträgen (Rohde, Helm, Brandes) scheint auch eine stärkere Funktion des Privaten anstelle des Lokalen durch. Sollte diese Beobachtung zutreffen, so impliziert dies automatisch die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Privaten und Öffentlichen in der Antike. Neben vielen interessanten Einblicken und Erkenntnissen hat die Tagung folglich auch neue Fragen aufgeworfen. Eine Weiterbearbeitung des Themas ist daher äußerst wünschenswert.

Konferenzübersicht:

Hans Beck (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Nomos, King of All. Local Meaning and Nomological Self-Regulation in Ancient Greece

Edward Watts (University of California, San Diego): Local Identity and Imperial Survival in the Roman Empire in the 260s

Adrian Erben (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): Die christliche Armenfürsorge in Antiocheia am Orontes und die städtische Getreideversorgung

Andrew Monson (New York University): The Limits of Despotism: Bureaucracy and Self-Governance in the Hellenistic East

Dorothea Rohde (Universität Bielefeld): Veränderungen des Vereinswesens in dörflichen Kontexten Ägyptens

Volker Menze (Central European University, Wien): Das „Domkapitel“ in der Spätantike: Administration, Finanzen und Governance eines Bischofssitzes

Rene Pfeilschifter (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): Die Zirkusparteien als Ort von Zivilgesellschaft

Julia Schwarzer (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): “It’s Hard to Be a Saint in the City”: Die Parabalani im Ordnungsarrangement der alexandrinischen Kirche

Marian Helm (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Fora et conciliabula civium Romanorum. The local dimension of the res publica Romana

Wolfram Brandes (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main): Familiäre „Selbstregulierung“ im 8. bis 11. Jahrhundert. Beispiele aus der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung